Hallo erstmal

Die Horde der Finsternis

horde… setzt sich aus Magiranern aller Völker zusammen, die sich gemeinsam mit den Geschöpfen der Nacht wie Werwesen, Dags und Untote um Dämonenlord Sataki gescharrt haben, um dem Bösen auf Magira erneut Einzug zu verschaffen. Nach dem Ende der Finsternis blieb einer der dunklen Feldherren, nämlich Sataki, auf Magira zurück. Er sammelte die Horde um sich, und es gelang, über lange Zeit den Nor Urassus besetzt zu halten und eines der größten Reiche aufzubauen, die Magira je sah. Doch die Horde besitzt nur eine grobe Struktur; beständige Machtkämpfe und Intrigen, Gewalt und Gier beherrschen den täglichen Umgang. Im Mittelpunkt stehen die Streitkräfte. Den Dämonenlord berät der Rat der Dämonen, bestehend aus den Schädelträgern und Skelettkriegern.

Das Zentrum ist die Schädelinsel, die Stadt heißt Ureban Na Xertes un existiert auf allen Weltenebenen. Auf der estlichen Welt haben die Truppen des Heerführers Samsa inzwischen die Kontrolle über drei Städte übernommen: Nabur, Timor und neu Ashkalin.

Literarischer Tipp: Karl Edward Wagners »Kreuzzug des Bösen«. (Rezension)

Die Horde der Finsternis ist eine Arbeitsgruppe in FOLLOW – mehr Informationen hier http://www.follow.de

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Der junge Blutpriester

Das Haus der Sierhalls wurde nach und nach wieder aufgebaut. Es war bei weitem kein Palast, aber es regnete nicht herein und sie hatten Türen und Fenster, die verschlossen werden konnten. Der Handel von Kuro blühte auf, nachdem die junge Familie auf der Schädelinsel angekommen war. Er musste nicht mehr im Geheimen agieren, konnte offen mit exotischen Kräutern und Präparaten handeln. Er versteckte seine Zugehörigkeit zur Horde nicht und trug Knöpfe mit dem Wappen an deinem Mantel. Am Anfang waren einige seiner Kunden, die nicht auf der Schädelinsel beheimatet waren, vorsichtig. Schnell verstanden diese jedoch die Vorteile eines Händlers mit wenig Skrupel und Zugang zu so vielen verschiedenen Organisationen, Handwerken und Rassen. Ob es jetzt eine von Schwarzen Zwergen geschmiedete Axt, Gift von Dunkelelben oder Söldner, die die Drecksarbeit für einen erledigen – Kuro konnte es organisieren.

Seine Frau Sunako genoss es sehr, sich nicht mehr verstecken zu müssen. Als Hexe, die Magie und Alchemie praktizierte, musste sie früher immer auf der Hut sein. Doch in der Horde, in Ureban na Xertes, war das ein alltägliches Treiben. Zum Teil führt sie nun sogar magische Experimente an Goblins durch oder testet ihre neu entwickelten Tinkturen und Lösungen an ihnen. Es liefen so viele davon herum, dass sie sehr verschwenderisch eingesetzt werden konnten- zumindest solange sie nicht in Ritualen oder an der Front gebraucht wurden.

Ihre Forschungsergebnisse teilte sie regelmäßig den Blut- und Knochenpriestern des, auf der Schädelinsel vorherrschenden, Sataki-Kults mit. Elixiere oder Salben, die das Leben von Opfergaben, meist niedere Lebensformen der Horde oder Tiere, bei einem Ritual ein wenig hinauszögerten und somit das Leiden verlängern, waren gern gesehen und werden häufig benutzt. Man sagt, je länger das Opfer leideten, sodass das Blut vor Aufregung fast zu kochen beginnt, desto effektiver ist es.

Durch ihre zuverlässige und regelmäßige Arbeit mit den Tempeln war die Familie einem Knochenpriester aufgefallen. Der Mann, der exotische Güter beschaffen konnte; die Frau, die den Tempel und die Rituale mit ihren Experimenten, sowie Wissen unterstützte; das Kind, der kleine Sakul, über den das Viertel, in dem die Familie lebte, hinter vorgehaltener Hand redete. Sie konnten sich als eine willkommene Verstärkung für den Sataki-Kult und seine Priesterschaft herausstellen. Der besagte Knochenpriester trug seinen untergebenen Blutpriestern auf, die Familie in den Tempel zu bestellen. Diese folgten der Aufforderung schnell, um nicht den Zorn Satakis auf sich zu ziehen. Sunako wurde in den Stand einer Blutpriesterin erhoben. Sunako lernte nun die Rituale selbst durchzuführen, die sie zuvor so zuverlässig unterstützt hatte. Wie es die Tradition des Kultes will, muss jeder der Priester ein besonderes Amulett um den Hals tragen. Es bestand aus einem roten Stein und gibt dem Träger Kräfte, die nötig sind, um die Rituale durchzuführen.

Durch den neuen Stand war es der Familie wichtig, in der Nähe der Tempelanlage zu leben. Nachdem sie ein angemessenes Haus in Laufreichweite gefunden hatten, bezogen sie es. Das neue Heim war wesentlich hochwertiger als das Alte und die drei lebten sich schnell im Viertel ein.
Zu dem Tempel gehörte eine Bibliothek, die ausschließlich Dämonen und Priester betreten durften. Durch den Rang des Blutpriesters war es Sunako nun möglich, diesen Hort des Wissens zu besuchen. Dort studierte sie weiter die verschiedenen Rituale des Kults. Außerdem versuchte sie, Informationen über das Buch zu sammeln, was niemand bis auf ihren Jungen zu öffnen verstand und das schon so viele Fragen aufgeworfen hatte.

Sakul war mittlerweile zehn Jahre alt. Er wuchs in der Horde auf und die Rituale, Experimente und Opfer gehörten für ihn zum Alltag dazu. Außerdem lernte er die Sprache, Traditionen und Gepflogenheiten der Horde, sofern man diese so nennen kann und möchte. Das rätselhafte Buch seines Vaters gehörte mittlerweile zu ihm wie eine zweite Haut. Er legte es nur zum Schlafen zur Seite und selbst dann lag es direkt neben seinem Bett. Immer wieder blättere er durch die Seiten des rätselhaften Buches und versuchte aus ihm schlau zu werden. Es war ungleich allen anderen Büchern, die er oder seine Eltern gesehen hatten.
Das Buch schütze seine Informationen sehr gut vor denen, die es als unwürdig betrachtete. Die Schrift und Abbildungen bewegten sich oder verschwammen, wenn außer Sakul noch jemand in das Buch schaute. Wenn er allein durch die Seiten blättert, offenbart sich eine fremde Sprache, die er nicht entziffern konnte. Er spürte, dass ihn etwas mit diesem Artefakt verband. Ein unsichtbares Band, welches ihn immer wieder zu dem Buch zog und dafür sorgte, dass er es öffnen konnte.

Er hat von seinen Eltern eine Umhängetasche aus Leder geschenkt bekommen, um das Buch zu transportieren. Diese war äußerst hilfreich, als er sich nach einigen Monaten die seine Mutter nun Priesterin war, dazu entschloss sich ihr anzuschließen. Er wollte nicht in die Fußstapfen seines Vaters treten und Handel betreiben. Er wollte lernen, Magie einzusetzen, das Buch zu nutzen und an den Ritualen teilzunehmen. Seine Eltern diskutierten darüber, aber entschlossen sich schließlich, seiner Wissbegierigkeit statt zu geben. So ergab es sich, dass seine Mutter ihn mit in den Tempel nahm und Sakul immer in der ersten Zuschauerreihe stand, als die abendlichen Rituale ausgeführt wurden.

Die Knochenpriester, die auf der Schädelinsel waren und nicht das Heer unterstützten, schauten erst etwas skeptisch auf das Kind. Schnell erkannten sie jedoch das Potenzial des Jungen. Nachdem der Schädelpriester ein Ritual durchführte, in dem Sakul wieder ganz vorn mit seiner Mutter stand, befahl er einem Knochenpriester den Jungen in die Reihen der Priester aufzunehmen. Er spürte, dass der Junge der Horde noch wichtig werden könnte. Man solle ihn so schnell wie möglich rekrutieren, damit er Sataki näher kommt.

Und so geschah es – Sunako wurde darüber in Kenntnis gesetzt, dass der Schädelpriester persönlich den Befehl erteilt hat, woraufhin sie keine Zeit verschwendete und dies mit Kuro besprach. Zum nächstmöglichen Zeitpunkt wurde Sakul Sierhall feierlich in den Kreis der Blutpriester aufgenommen. Als ihm das Amulett um den Hals gelegt wurde, blitzte das Buch in seiner Tasche erneut rot auf und verdrängte die Dunkelheit der Nacht mit einem schaurigen Schein.

Etwas abseits des Rituals, in einer Ecke des Tempels stand der Schädelpriester, ungesehen von der Menge an Blutpriestern und Schergen. Ein breites Grinsen formte sich unter seiner Maske und er nickte sich selbst zu, bevor er sich umdrehte, um sein weiteres Vorgehen vorzubereiten.

DER JUNGE BLUTPRIESTER
Lukas Dittrich
Dezember 2023

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Beginn einer Reise

Ureban na Xertes

Dumpf dröhnen Trommelschläge. Mit bedächtigem Schritt nähert sich die dunkle Seele Grim der Opferstelle.
Die glühenden Kohlen strahlen eine bedrohliche Hitze aus.

Albyon

Die Rufe der Krähen erfüllen die Luft.
Die reine Seele Wolf breitet ein Sitzleder aus.
Er genießt die behagliche Wärme seines kleinen Lagerfeuers.

Grims starke Hände greifen nach dem Opfer,
das sich zappelnd zu wehren versucht.
Er hält es über die Glut, die Schreie ignorierend.
Mit einem kräftigen Ruck bricht er es in der Mitte auf.

Wolf greift nach dem toten Hasen,
den er zuvor gehäutet und ausgenommen hat.
Ein dünner Ast dient als Spieß.
Vorsichtig dreht er das Fleisch über dem Feuer.

Blut und Eingeweide fallen in die Glut.
Bald ist alles voller dunklem Schwaden,
nur von der glühenden Kohle in rotes Licht getaucht.
Im Mund ein metallischer Geschmack.
Grim wirft den Kopf in den Nacken.
Seine Augen werden tief schwarz.


Fett tropft ins Feuer.
Wolf fällt ungewollt in Trance.
Flackernd lodern die Flammen empor,
verbrennen den Braten und
hüllen den Lagerplatz in dichten Rauch.

Grims Geist findet sich wieder auf einem Schiff aus Nebel.

Wolfs Geist erwacht auf einem Schiff aus Rauch.

Das Schicksal treibt zwei Teile einer Seele unaufhaltsam aufeinander zu.

Beginn einer Reise
Arnd Empting
Singen, September 2022

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Vom Tode der Moral

Vom Tode der Moral

Auf dem Feldherrenhügel

»Komm«, flüsterte Aixa, die junge Ordonanz. Ein vorsichtiger Blick in die Weite des Küchenzeltes, dann ein kecker Blick zu Oszra, gefolgt von einem auffordernden Zupfen am Ärmel. Sie huschte lautlos hinten aus dem Zelt, dort wo es zu den Waschstellen und Aborten ging. Oszra schüttelte demonstrativ zwei Holzteller ab, die er gerade in der Spüle bearbeitet hatte. Er wusste, wenn er jetzt Aixa folgte und der Küchenchef erwischte ihn, dann würde er heute Nacht auf dem Bauch schlafen. Nicht heimlich tun war das Gebot des Moments. Heimlichkeit wurde sofort bemerkt. Noch mal Wasser von den Tellern schütteln, und sie dann wuchtig auf den Seitentisch legen. Und dann eilte der Küchenjunge eiligen Schrittes durch den hinter Zeltausgang, so als würde er den Abort aufsuchen.

Das Küchenzelt hatte seinen Platz oben auf dem Feldherrenhügel gefunden, direkt neben dem Lagerkreis, in dem der General und seine Offiziere die Lage besprachen. Die belagerte Grenzfeste Tiebel lag von hier aus fast tausend Schritte entfernt auf der rechten Seite. Ein gut gewählter Abstand, denn die drehbaren, riesigen Trebuchets der Festung warfen Felsen im besten Falle dreihundert Schritt weit. Die Front des Zeltes zeigte auf den Platz. Diese Front hatte man auf beiden Seiten mit einfachen Zeltwänden verbreitet, um dahinter Vorräte unsichtbar zu lagern. Und dort hatten die Bediensteten ein paar Stühle platziert, um sich auszuruhen und auch mal ein Bier zu trinken. Der Stoff wies einige Sichtschlitze auf, durch die Aixa und Oszra nun spähten.
»Es bewegt sich viel heute«, wisperte Aixa ihm zu, »es wird eng für uns. Aus der Tiefebene nähert sich der Entsatz der Festung. Es heißt, Azza Assalonn führt 8000 schwer bewaffnete Mann von hinten über den Aufgang in die Festung. Der Mann wird der Bluthirsch der Tiefe genannt, das verheißt nichts Gutes. Die werden uns in einem Ausfall hinwegfegen, sage ich dir.«
»Hmm,« grunzte Oszra.
»Und es sind neue Besucher eingetroffen, die mit dem Besten bewirtet werden, was wir noch in den Vorratslagern haben. Mit Blutwein und reichlich Braten, als wäre beides nicht schon seit Tagen knapp.«
»Einer davon mit merkwürdig viel Fell.«
»Ja, ein Werwolf, aufgeplustert bis unter das Dach. Luran heißt er. Und bei ihm ein älterer Mann, genannt Ismael. Der schaut die halbe Zeit fahrig in die Gegend, als wüsste er nicht so recht, wo er ist. Der weiß wohl nicht, was er da soll.«
»Von Ismael habe ich gehört, es gab Gerüchte. Aber das, was ich hörte, passt nicht zu dem, was du erzählst.«
»Gerüchte gibt es viele«, knurrte sie, »ich habe einige über den Werwolf gehört«.
Ein Zischen von weit oben lenkte sie ab. Ein riesiger Feuerball zog über den Himmel, fast so hell wir die Sonne.
»Sie versuchen es wieder.«
»Ja, das ist so befohlen. Jeden Zehnteltag testen.«
Der Glutball zog seine Bahn und machte dabei Geräusche wie Eidechsen in der Bratpfanne. Dann geschah, was immer geschah. Der Ball wurde langsamer, er schrumpfte, um dann schließlich mit einem feuchten Zischen im halb gefüllten Burggraben zu verlöschen.
»Verdammte Neutralmagier«, zischte Aixa, »die Festung sollte schon lange der Horde gehören, und der Weg in die Tiefebene wäre unser. Aber die blockieren jeden magischen Angriff.«
»Die letzten vier Wochen hat sich wenig bewegt. Mal ein Angriff am Nachmittag auf die Tore. Dann so ein halber Ausfall von denen. Nix is‘.«
»Na, du musst mal den Alten hören, da bewegt sich was. Da hat die Horde Erfolge. Da wird viel gemacht, alles sehr wichtig. Aber meist werden nur Bauern im Hinterland gefangen, für den Schlachter und die Kette.«
Oszra schauderte und musste unwillkürlich in Richtung der Festungsmauern schauen. Dreihundert Schritte schafften die riesigen drehbaren Trebuchets auf den seitlichen Türmen. Sie konnten den Zugang zu der Tiefebene nach hinten mit Tod überziehen und nach vorne alles vernichten, was sich dem weit gezogenen Graben näherte. Aber sie konnten nicht den Bereich am Fuße des Hügels erreichen, an dem auch heute der Schlachter stand und Gefangene zerhackte. Er ging methodisch vor, ließ sich einen nach den anderen aus den Käfigen bringen. Er griff ihn dann mit seiner riesigen Hand und warf ihn auf die Schlachtbank. Dann wählte er eines der Messer oder eine der Hacken an seinem Gürtel aus und begann mit der blutigen Arbeit. Langsam und methodisch. Lange Atemzüge später rutschte eine blutige Masse vom Tisch. Zwei Mal am Tag belud man einen Wagen und karrte die Reste zum Graben. Einige Dags sicherten den Weg mit Schilden, gegen Angriffe mit Bögen. Die Wagen luden dort die Toten ab, um die Grabenhaie zu füttern.
Die Kette stand dicht neben der Schlachtbank. Ein zehn Schritte hoher Pfahl, mit einem System aus Winden und Rollen, an dem man Gefangene hochzog. Der erste wurde mit den Handfesseln in einen Haken gehangen, der nächste an dessen Beine gebunden, der dritte am Hals des zweiten und so weiter. Die Schergen würfelten manchmal, wie es in der Kette weiter gehen sollte. Man zog die Gequälten sehr langsam hoch. Irgendwann riss dann ein Arm, ein Bein oder ein Leib. Dann gab es Jubel von den Gewinnern und enttäuschte Schreie von den Kriegern, die vergeblich auf den ersten Abriss oder auf den ersten Durchriss gewettet hatten.
Vor ihnen im Rat der Feldherren wurde es laut. General van Heuckenroth erhob sich, hustete und rief: »Achtung, Achtung!«, wie er es immer tat, wenn er etwas verkünden wollte.
»Ich muss los«, raunte Aixa. Sie schnippte Oszra spielerisch, aber kräftig, mit zwei Fingern auf die Wange, wie sie es immer zum Abschied tat, wenn er nicht aufpasste. Sie zwinkerte dabei zufrieden und eilte dann raschen Schrittes um die Filzwand.
Er schaute ihr hinterher. Wenn sie doch mal etwas mehr Zeit hätte, er würde sie schon in seine Felle bekommen. Er träumte einen Herzschlag lang von einer Nacht mit Aixa.
»Ha!« erklang hinter ihm ein lauter Ausruf, der ihn erschrocken herumfahren ließ.
»Der feine Herr hat sich eine Pause genommen, während alle anderen hart arbeiten, so so.«
Der Küchenchef stand zwei Schritte hinter ihm und ließ die Knute langsam und liebevoll durch seine Hände gleiten.
»Die Hose runter«, sagte er, während sich sein Gesicht zu einem widerlichen Grinsen verzog.

General van Heuckenroth stand auf, holte tief Luft und rief: »Achtung, Achtung! Ähem, es ist nun alles geklärt, denke ich. Die Festung Tiebel blockiert den Zugang zu der Tiefe.«
Ein Hochziehen und Spucken auf die Seite, dann ging es weiter: »Und der… Magister, der glaubt er habe die Moral gepachtet, der hält den Widerstand aufrecht, obwohl in der Feste seit Wochen nur noch Leder gekaut wird.«
Ein feuchtes Husten unterbrach den alten, grauhaarigen Mann. Dann sprach er weiter: »Ähem, heute Nacht wird, ach was sage ich, muss Valya Simkokan, den sie den Phönix von Tiebel nennen, dieser verdammte Magister, ähem, sterben. Wenn der tot ist, dann stirbt auch die Moral der Verteidiger. Dann fällt die Stadt, ähem, das dauert nicht mal zwei Zehnteltagen, das verspreche ich euch.«
Es ging noch eine Weile weiter mit der Rede, die immer wieder von Husten und Ähems unterbrochen wurde.
Aber Ismael folgte den etwas schwülstigen Ausführungen sowie nur flüchtig, er würde heute nicht in den Einsatz gehen. Zweihundert Schritte vor den Mauern erlosch jede Magie. Seine Toten würden einfach umfallen, Steinriesen würden erstarren und Dämonen zusammenbrechen. Seine Nekromantie war hier nutzlos.
Desinteressiert ließ er seinen Blick in die Runde schweifen. Es waren knapp ein Dutzend Offiziere der Horde anwesend, sehr gemischte Ränge. Zwei Werwölfinnen schmiegten sich in die Sessel, sie kicherten und flüsterten miteinander und warfen immer wieder Blicke auf Luran. Ein Dag kauerte auf einem Baumstumpf. Er umklammerte den Griff der sechs Fuß langen Axt, deren Blatt auf dem Boden ruhte. Neben ihm saß ein Dunkelzwerg, der sich auf sein Schwert stützte und aufmerksam den Ausführungen des Generals folgte. Auch ein paar Menschen waren dabei, die sich in aufgeputzten Offiziersuniformen hervortun wollten. Diese begleiteten jede Aussage des Generals mit Kopfnicken und gedämpften Ja-Lauten. Dazwischen verstreut saßen die Kämpfer, die heute Nacht die Hauptrolle spielen sollten.
Die Vedde, eine Menschenfrau, trug ein süßes herzförmiges Gesicht auf einem schmalen Hals. Aber Ismaels Blick blieb nicht an dieser Schönheit hängen, sondern wanderte immer wieder zu ihrem Buckel. Der erhob sich, unförmig von den Schultern ausgehend, zwei Fuß über ihren Kopf. Ihr langes, schwarzes Haar floss bis über die Taille herab. Sie trug ein dünnes Hemd aus Leinen und eine enge Hose aus rohem Leder. Auch die Hülle, die ihren Buckel verhüllte, war aus Leder gefertigt.
Zwei Stühle weiter saß ein kleiner Mann, von dem Ismael nur den Vornamen behalten hatte: Crevus. Der hing dort, in seinen schwarzen Wollumhang gehüllt, halb im Stuhl; seine Beine baumelten in der Luft. Die fehlende Größe schien er mit der Fülle seines Leibes wett machen zu wollen. Er war nach vorne und nach hinten gleichermaßen dick, aufgewölbt wie ein Fass.
Der dritte, der heute Nacht mitlaufen würde, war der Werwolf Luran. Luran saß auf der anderen Seite neben Ismael und schaute auf den General.
›Was ist heute mit dem los‹, dachte Ismael, ›so hat er sich noch nie gezeigt.‹
Lurans Kopf präsentierte als Mischung aus Mensch und Wolf. Die Augenpartie und die Stirn sahen aus wie die eines Menschen, aber den Bereich von Mund und Nase war eine Wolfsschnauze. Und darunter präsentierte sich ein aufrecht gehender, breitschultriger Wolfskörper, der wallendes Fell trug. Ismael konnte es in Gedanken nicht anders bezeichnen als geckenhaftes Festgefieder.
Und die Nummer vier stapfte nun zu ihnen den Hügel hinauf. Das Tageswerk war wohl vollbracht. Es war der glatzköpfige, riesige Mann, den man nur den Schlachter nannte. Sein dicker Lederkittel spannte sich bei jedem Schritt um den feisten Leib, und seine Augen starrten blicklos auf die Gruppe. Er ging ohne eine sichtbare Regung im Gesicht. Schweiß tropfte ihm nach der harten Arbeit vom Kopf auf den nackten Oberkörper. Die Messer und Beile hingen blutbesudelt an seinem Ledergürtel.
Der Schlachter hielt am Rande des Kreises der Feldherrenstühle an. General van Heuckenroth verstummte. Der halbnackte Mann blickte sehr langsam in die Runde und musterte jeden, der dort saß, einen halben Lidschlag mit einem Übelkeit auslösenden Blick.
Dann fragte er mit einer rauen, tiefen Stimme.: »Wann geht es los?«

Am Vorabend des Kampfes

»Luran, was war das heute, was ist los mit Dir und… und diesem Heerlager? Warum wurden wir vor dem Morgengrauen aus dem Schlaf gerissen und im Galopp hierher verbracht? Und dann der Einritt in die Stadt, was war das? Plötzlich hast Du diese langen Haare, bist fast zweieinhalb Schritte groß und riechst wie eine Mischung aus Abfall und Blumen.«
»Abfall und Blumen, das hast du gut gesagt.«
»Unterbrich mich nicht. Im Lager liefen die Werwölfe zusammen, warfen sich zu Boden, winselten und versuchten dir nahe zu kommen. Denen war egal, ob sie im Schlamm lagen. Und zwei oder drei nässten sich ein, als du nur noch einen Schritt entfernt warst.«
»Ja, und die Wachen mussten sie abhalten, noch näher zu mir zu kriechen. Das ist schlimm,« schnurrte Luran fast und grinste, soweit eine Mischung aus Mund und Schnauze grinsen kann, »sehr schlimm.«
Ismael hielt inne, blickte ihn an, fasste sich und blaffte: »Also was war das vorhin und was soll das alles?«
»Ich glaube«, Luran machte eine Pause, »ich glaube, ich muss Dir mal ein paar Dinge erklären.«
»Nur zu, ich höre!«
Der Werwolf begann, in dem Zelt vor Ismael hin und her zu gehen. Zwei Schritte in die eine Richtung, zwei in die andere, dabei waren die Hände auf dem Rücken verschränkt.
»Ismael, du bist während der Finsternis geboren, die die Horde über Magira gebracht hat. Du bist die meiste Zeit deines erwachsenen Lebens mit der Horde gezogen und du bist bald ein alter Mann. Wenn ich das, was du mir erzählt hast, richtig verstanden habe, dann siehst du Dich als Sklave der Horde, der gezwungen mitläuft. Du bist ein hoher Sklave, du bekommst in den Heerzügen die Privilegien eines Offiziers. Aber du bist immer noch ein Sklave, der die Horde lieber heute als morgen verlassen würde.«
»Nein, nein, ich bin ein Teil der Horde und…«
Lautes bellendes Gelächter ließ ihn verstummen.
»Mach dir keine Sorgen, so denken viele. Aber das ist der Horde völlig egal. Alle laufen mit. Und Du vergisst, vielen gefällt es. Die Freiheiten, die es in der Horde gibt. Du bist ein guter Kämpfer? Niemand fragt, woher Du kommst, und was Dein Vater war. Du bist Stratege oder Schreiber? Nur zu, die Ämter erwarten dich. Und ganz besonders Dich, Ismael, könnte noch einiges erwarten.«
Die Bewegung des aufrecht gehenden Halbwolfs stoppte abrupt. Luran sah sich um, als würde er die schlichten Zeltbahnen und die rauen Zeltstangen zum ersten Mal wahrnehmen. Einen Augenblick später stand er als schmächtiger, fast unscheinbarer Mensch vor Ismael. Seine braunen Augen sahen ihn intensiv an.
Er sprach leise: »Ismael, Du bist so lange dabei, aber du weißt so wenig über die Horde. Ich mag dich, und ich mache mir Sorgen um Dich. Du weißt nichts, aber auch gar nichts, von dem gewaltigen Ringen um die Macht, das im Hintergrund abläuft. Vor vielen Jahren griff die Horde Magira an. Ein Angriff wie viele andere vorher. Die Horde schliff die Welten Magira, die Reiche versanken im Staub, und es entstanden überall Enklaven der Finsternis.«
Einen Herzschlag lang macht Luran Pause. Er senkte den Kopf, als er sagte: »Aber dann lief etwas schief, ganz gehörig schief. Es gab Widerstand, wo keiner mehr sein sollte. Es gab Revolten und bereits besiegte Provinzen erhoben sich. Da lief etwas ganz anders als geplant. Beschissen anders. Die Götter des Lichtes, diese eher schwächlichen und weichen Götzen, schlugen mit einer Härte zurück, die keiner in der Horde erwartet hatte. Die Horde ist jetzt tatsächlich in der Defensive. Es gibt nur eine Erklärung dafür: Verrat! Die Entwicklungen der letzten Zeit sind weit verteilt, alle sind sie darin irgendwie verwickelt: Menschen, Dämonen, Schädelträger und erst recht die höheren Dämonenlords. Azi, Samsa und andere kämpfen hier in der Wesliche Welt um die Macht. Sataki…, ja Sataki zieht die Hälfte aller finsteren Fäden auf Magira. Er hat irgendetwas vor. Das gefällt vielen in der Horde nicht. Ganz und gar nicht.«
Luran hob den Blick zu Ismael: »Xrith’ee, dein alter… Freund, der war irgendwo auch dabei, ganz vorne in den Intrigen, auch wenn ich nicht weiß, auf wessen Seite er stand.« Luran sah Ismael aus roten Augen an: »Und weißt Du, warum Xrith’ee sterben musste?«
Ismael erinnerte sich an den verhassten Toten Gott, der ihm seine nekromantischen Fähigkeiten gegeben hatte, und dessen Haut er nun als Maske trug. Er schauderte.
»Nein. Oder warte… Xrith’ee musste sterben, weil das Licht eine hohe Göttin sandte, wo er nur einen kleinen Hirschgott erwartete.«
Amüsiert hob Luran eine Augenbraue.
»Das war eine Falle in einer Falle in einer Falle. Also, die erste Falle war die des Lichtes, das die Göttin anstelle des verblödeten Hirsches schickte. Die zweite Falle war die der Horde, die diesen Plan von Spionen für teures Gold zugetragen bekommen hatten. Der offizielle Plan war, Sataki sollte eingreifen und die Lichtgöttin vernichten.«
»Sataki?«
»Ja, der hohe Dämonenlord selbst. Das wäre eine saubere Sache gewesen, für Cisaea, Sataki spielt nicht mit seiner Beute. Aber das war auch eine Falle für den Toten Gott, das war Verrat. Xrith’ee wurde zu mächtig. Sataki kam nicht, und so starb der Tote Gott in der Schlacht.«
Luran lachte halblaut und höhnisch in sich hinein.
»Gut, es gab noch eine vierte Falle, von der ich auch erst später erfahren hatte. Das war nicht schön, eine unfreundliche Überraschung für Cisaea, die Lichtschlampengöttin. Schwert und Waage halfen an dem Tag nicht viel, auch die Macht der Sonne, die sie gerne beschwor, versagte. Die Horde erweckte an diesem Tag den Schläfer, der in der vergessenen Stadt ruht. Er hatte sehr schlechte Laune und schier unendlicher Hunger wütete in seinen Eingeweiden. Seine Flügel trugen ihn mit mächtigem Flügelschlag zu ihr, und er zerriss sie mit seinem Tentakelmaul und fraß sie zur Hälfte.«
Lurans Gesicht verzog sich in falschem Bedauern: »Das war nicht schön. Das Licht weinte lange um sie.«
»Egal! Sataki kam nicht; er hat Xrith’ee verraten?«
»Vermutlich ja. Aber wie gesagt, ich weiß ich nichts Genaueres.«
›Oder du willst es mir nicht sagen‹, dachte Ismael.
Luran fing wieder an, hin und her zu gehen, langsam. Wieder in jede Richtung zwei Schritte, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Dann eine bedächtige Wendung und die nächsten Schritte folgten.
»Und noch etwas, Freund Ismael. Um deine Frage zu meiner Rolle hier im Lager zu beantworten. Weißt Du eigentlich, wer ich bin?«
Einen Atemzug lang herrschte kaltes Schweigen im Zelt.
Ismael wandte unsicher den Blick zur Seite, wo der Wein auf einem grob gezimmerten Tisch stand. Er machte ein Schritt hin zu dem Tisch und schenkte sich ein. Seine Hände zitterten dabei. Er nahm einen großen Schluck des bitteren Roten, dem schnell ein zweiter folgte.
Er sah Luran an und sagte langsam halb fragend: »Du bist mein Freund Luran, der Werwolf.«
Luran erwiderte: »Ja, das bin ich. Aber weißt Du wie mein voller Name lautet?«
Ismael erwiderte nichts.
»Ich bin dein Freund Luran. Aber ich bin auch Llranthan Luran Bergblut, Kronprinz des Rudels vom Blauen Mond aus dem Lande Gloeston. Heute morgen trug ich die Gestalt und den Geruch des Anführers dieses Rudels, um meinen Anspruch zu zeigen, das Rudel zu führen. Ich hätte jeden Werwolf im Lager getötet, der sich nicht unterworfen hätte.«
Ismael trat einen Schritt zurück, der Arm mit dem Becher sackte nach unten. Wein tropfte schwer wie Blut auf den Boden und färbte das Gras.
»Kronprinz… des… vom blauen… des größten…«
»Es ist nur das zweitgrößten Rudel der Horde auf Magira.« Luran machte eine kurze Pause, dann spuckte er aus und sagte: »Noch.«
»Darum gab es für dich in jeder Garnison so einfach Papiere und Gold für die Reise.«
»Ja, solch ein Name und mein Stallgeruch, die haben Vorteile.«
»Und warum haben sie dich gesucht und hierher gebracht?«
»Ich bin ausgebildet, jeden zu finden und zu töten, den ich finden und töten will. Ich werde mit den anderen drei zusammen den Magister töten.«

Der Angriff

Ismael konnte seine Magie nicht einsetzen, er saß nutzlos auf dem Feldherrenhügel, ebenso wie einige verletzte Offiziere und die anderen Magier. Dazu gesellten sich ein paar magische Wesen und die Schreiber und Buchhalter. Die Nacht brach herein, als unten in der Ebene die große Bestie Schlacht erwachte. Sie setzte sich langsam auf die Feste zu in Bewegung. Brüllende Krieger waren weiter hinten auszumachen, die Arbeiter, vermutlich Bauern, mit Lanzen antrieben. Diese mussten die Belagerungsgeräte nach vorne schleppen, links und recht von Dags mit Lanzen flankiert und auf Kurs gehalten.
»Arme Schweine«, murmelte die weibliche Ordonanz halblaut vor sich hin, die Ismael Wein einschenkte, »davon kommen nicht viele zurück.«
»Ja. Meist ist es so, Arbeiter sterben, Krieger sterben. Für mich ist es am Ende egal. Und du sei froh, wir sind heute nicht dran.«
Sie schaute hastig auf ihn, überrascht das er ihr antwortete. Sie schien etwas sagen zu wollen, doch dann senkte sie still den Kopf und schluckte den Satz hinunter.
Ein Dutzend hastig zusammengezimmerter Trebuchets nahm die Arbeit auf. Kugeln aus loderndem Pech, Ghoule und brennende Skelettkrieger zogen als Geschosse ihre Bahn durch die Nacht. Einige zerschellten an der Mauer, doch die meisten flogen weit genug, um in der Stadt zu landen und Chaos zu stiften.
Kriegshörner ertönten dumpf und langgezogen; schwere Reiterei zog schwerfällig an der rechten Flanke entlang nach vorne. Sie sicherte diese Flanke, und die lanzentragenden, mit schwarz-silbernen Rüstungen gepanzerten dunklen Ritter hielten sich bereit, um jeden Ausfall zu brechen.
»Woher…«
»Was meint ihr?« fragte Ismael und sah sie an.
»Ich meine, woher kommt dieser merkwürdige Rauch.«
Die junge Frau neben ihm zeigte auf weiße Schwaden, in denen sich dünne schwarze Fäden wanden.
Ismael beobachte die Erscheinung. Er konnte den Rauch sogar riechen, es war als würde direkt neben ihm ein Feuer brennen, in das jemand nasse Tannenzweige geworfen hatte. Die sich windenden Fäden wurden mit jedem Atemzug schwärzer und dicker. Einen Atemzug später schnellte einer davon nach vorne. Er berührte Ismael und die Welt um ihn herum versank in Rauch.

Luran sah an der Mauer aus massiven Steinquadern empor, die sich vor ihnen erhob, und in der Dunkelheit weiter oben verlor.
»Wann geht es los?«
Ein dumpfer Schrei erklang weit oben, dann flog etwas durch die Nacht. Ein Seil entrollte sich und das Ende kam ein paar Schritte vor ihnen zu liegen.
»Gold findet doch immer einen Weg.«
Luran wollte das Seil ergreifen, doch die Vedde kam ihm zuvor. Sie sprang aus dem Stand fast sechs Fuß hoch, um dann elastisch Hand über Hand nach oben zu klettern. Es schien fast, als würde sie von einem unsichtbaren Seil nach oben gezogen.
»Angeberin«, knurrte Luran, dann folgte er ihr, so schnell es ihm möglich war.
Die Vedde flankte über die Mauerkrone. Dort lagen zwei tote Wachen und ein dritter Mann, der aussah wie ein Bäcker.
»Gut«, sagte sie, als sie sah, dass ein ordentlicher Knoten das Seil fest an einen eingelassenen Ring aus Metall sicherte. Dann vollzog sie eine scharfe Drehung nach rechts. Dort erklangen Rufe und vier oder fünf Wächter rannten den Wehrgang entlang auf sie zu, so gut es ihre Halbrüstung und die Enge zuließen. Ein zufriedenes Lächeln flog über das Gesicht der schlanken buckligen Frau, das sie sehr schön und lieb aussehen ließ. Sie stieß sich nach vorne ab, und kam nach einer fließenden Rolle kniend, fast mittig, in der Gruppe zum Halt. Ihre Dolche zucken nach links und rechts; einer gedankenschnell nach oben und einer wuchtig in Richtung Boden. Eine Wache brüllte auf und griff sich zusammensinkend ins Gemächt. Der andere Mann, den sie getroffen hatte, sank auf die Seite und starrte auf seinen Fuß, in dem ihr Dolch von oben steckte. Ein Heulen und Schluchzen entrangen sich seiner Kehle, als er nach hinten sank. Die beiden anderen Wachen zögerten nicht einen Moment. Sie brachten trotz der Enge die Schilde nach vorne, um sie dann mit voller Wucht krachend auf die Vedde zu schmettern. Diese verlor das Gleichgewicht und wurde zu Boden geworfen. Ein hoffnungsvoller Ausdruck trat auf die Gesichter der Wachen, der abrupt verschwand, als sich Luran in Wolfsgestalt auf die beiden warf. Der linke Mann verlor seine Kehle durch einen einzigen Biss, der Blut in alle Richtungen spritzen ließ. Die Vedde nutzte den Moment, rollte sich auf die Seite und stieß zu. Wie von einer unsichtbaren Leine geführt, drang ihr Dolch mit einem Knirschen in eine Stelle ein, an der sich die Lederteile der Rüstung überlappten.
Der Schlachter und Crevus standen ungeduldig dort, wo sie über die Mauer geklettert waren, und sicherten die andere Seite des Wehrgangs.
Die Erbauer hatten die Feste auf einem Tafelberg errichtet, sie maß in der Länge fast eine dreiviertel Meile und war von einer unüberschaubaren Menge von Gebäuden bedeckt. Sie befanden sich an einer der hinteren Ecken und mussten sich durch die Anlagen schlagen, um Valya, den Phönix zu erreichen. Irgendwo dort vorne befehligte er die Verteidigung.
»Weiter, weiter, bevor es Alarm gibt!« rief Luran und stürmte in das Dunkel zwischen zwei Baracken.
Sie kamen etwa drei oder vierhundert Schritte weit, dann erklangen kurze, schnelle Alarmhörner, die ihre Anwesenheit signalisierten. Die Verteidiger hatten sie entdeckt, und sie formierten sich recht schnell.

Durch die Augen eines Werwolfes im Kampfrausch betrachtet, war die Welt immer in ein leichtes Rot getaucht, auch in der dort herrschenden Nacht. Und schon eine einzige Fackel reichte aus, um für ihn eine Gasse zu erhellen, während die Menschen darin langsam umher liefen, wie Blinde und Lahme; sie waren leichte Beute: Laufen, springen, beißen, weiter, weiter, da vorne der nächste. Die anderen aus seinem Rudel waren so langsam, nur die Vedde, die durch die Gassen sprang, rollte, stach und bei jedem Treffer hell lachte, konnte fast mit ihm mithalten. Der Schlachter bewegte sich wie halb aus Stein, er zerschnitt jeden Angreifer unerträglich langsam mit seinem Schlachterbeil. Und Crevus, wo war Crevus?
Der Durchgang zwischen einer Backstube und einer Stallung öffnete sich auf einen Platz, auf dem drei oder vier Lastkarren standen. Aus den Türen traten Gepanzerte in Vollrüstung und Bogenschützen, die sofort ihre Kurzbögen hoben und anlegten. An den Spitzen sah Luran ein unerträglich helles, gleißendes Glänzen. Silber! Er heulte Wut und Zorn hinaus und warf sich nach hinten, in die Deckung eines Karrens, während die Pfeile sirrend an ihm vorbei flogen.
»Das wird hässlich«, sagte die Vedde, die plötzlich neben ihm hockte und ganz ruhig die Szenerie betrachtete.
Der Schlachter trat aus dem Schatten und lachte brüllend. Er trug Crevus auf dem Arm, der sich dort fast zu einer Kugel zusammengekrümmt hatte. Sofort prasselten Pfeile auf den Schlachter nieder, doch diese trafen weder die Sehschlitze seines Topfhelmes, noch kamen sie durch die metallverstärkte Lederschürze. Die Pfeile im Körper ignorierend, warf er Crevus zu den Rittern, um selber dann grunzend zu den Bogenschützen zu stapfen. Sein grobes Schlachterbeil zuckte herab. Der Bogner vor ihm hieb mit einem letzten, schnellen Todesreflex sein Messer tief in die Fettwülste des Bauches, bevor er unter dem wuchtigen Hieb starb. Mit einem hellen Klirren brach die Klinge ab, während im tiefen Schnitt, der sofort begann sich zu schließen, kurz ein Metallgeflecht sichtbar.
Crevus kam als Kugel auf dem Boden auf. Vor einem der Ritter stand er auf und faltete seinen Bauch auseinander. Dort öffneten sich bläulich umrandete, chitinbedeckte Schlitze und heraus schnellten zwei mehr als armlange Mandibeln, die den Ritter knapp unter dem Brustkorb umfassten. Der Mann schrie gellend und hieb panikerfüllt mit Kurzschwert und seiner gepanzerten Faust auf Crevus. Seine Schläge, und auch die Attacken mit dem Schwert, die seine Kameraden ausführten, glitten wirkungslos an Crevus‹ Kopf ab, der unter einer Haube aus Chitin verschwunden war. Dann setzte ein stöhnendes metallisches Knirschen ein. Die Rüstung wurde langsam aber unerbittlich wie durch eine Presse zusammen gedrückt, bis die entsetzen Schreie des Mannes in ein Röcheln übergingen und verstummten. Panik ergriff die Wächter, und sie flohen, so weit sie es noch konnten.
Dann ging es weiter. Luran lief voran, durch die Nacht, durch die rote Dämmerung der Wut. Ein herausforderndes Heulen entrang sich seiner Kehle.

Die Männer auf den Wehrgängen schossen mit Bögen nach unten. Unter die gewöhnlichen Pfeile aus Holz mischten sich Brandpfeile und welche mit silberner Spitze. Das Gebrüll der Verteidiger und das der Angreifer vermischte sich zu einem chaotischen Dom aus Lärm. Auf der mit Kopfstein gepflasterten Straße vor den Wehranlagen zogen schwere Gespanne vorbei. Überall rannten Bewaffnete, Träger und Boten ihrem unbekannten Ziel entgegen. Valya Simkokan stand auf einer hölzernen Plattform, die die Zimmerleute errichtet hatten. Von dort verfolgte er die Lage, schickte immer wieder Boten los, oder wies den Trompetern Signale an. Aufrecht stand er da, in einen schwarz-roten Mantel gehüllt. Wenn er mit seinen Adjutanten und Offizieren sprach, dann gab er seine Anordnungen fast im Plauderton und mit sparsamen Gesten.
Die Trebuchets der Horde waren durch die fest montierten, aber drehbaren Wurfgeschütze der Verteidiger bereits zerstört. Von oben hatte sich das leicht gestaltet. Es liefen wohl noch zwei oder drei Ghoule und Skelettkrieger in der Stadt herum, doch die Brände der Feuergeschosse waren weitgehend gelöscht. Der Magister der Festung blickte recht zufrieden auf die Lage. Der Angriff der Horde hatte unten vor der Mauer, im tiefen Schlamm der Gräben, bereits deutlich an Schwung verloren. Dazu kam der starke Beschuss von oben, der sein übriges tat und die Angreifer bald brechen würde.
Ein Adjutant zupfte aufgeregt an seinem Ärmel.
»Herr, seht doch!« rief er.
Valya wandte sich dem Tumult zu, der sich in den letzten Augenblicken hinter ihm entwickelt hatte. Eine Handvoll seine Männer hieben auf unbekannte Angreifer ein. Er grinste zufrieden und wollte sich wieder nach vorne wenden, doch dann gefror sein Grinsen. Aus dem Tumult schob sich eine riesige, halbnackte Gestalt, die die Männer links und rechts mit wuchtigen Hieben zerteilte und zu Boden warf. Zwei weitere Angreifer sprangen wie Schatten links und rechts nach vorne. Ein Werwolf und, er traute seinen Augen nicht, eine bucklige Frau. Als die Toten zu Boden sanken, war ihm das egal. Er brüllte den Männern, die vor der hölzernen Plattform standen, einen Befehl zu: »Garde von Tiebel! Beendet das! Sofort!«
Zwanzig große Männer, in dunkelblaue Halbrüstungen gehüllt, schlugen Schwert und Lanze wie ein Mann auf die Schilde und riefen: »So sei es!« Sie drehten sich um und griffen in den Kampf ein.

Die Angreifer schafften es schnell über die erste Hälfte der Straße. Die Treppe zu der Plattform des Phönix erschien fast schon erreichbar, nur noch vielleicht ein Dutzend schneller Schritte entfernt. Doch dann schritt die Garde ein. Die Hälfte trug Schwert und Schild, die andere kurze, schwere Lanzen mit unterarmlangen Flügelspitzen. An jeder Klinge sah Luran Silber aufblitzen, und er sprang panisch zurück. Die Vedde versuchte, nach vorne zwischen die Männer zu springen, doch die hohen Schilde wurden zu einer engen Mauer zusammengezogen, die sie blockierte. Die Lanzen wurden von oben in seitliche Aussparungen in den Schilden eingelegt und sie sah sich den tödlichen Speerspitzen gegenüber. Sie musste weichen.
»Zur Seite ihr Maden, ich mach das«, grunzte der Schlachter verächtlich. Er wandte sich dem ersten Wächter auf der linken Flanke zu. Der und seine Nachbarn wichen etwas zurück, wachsam, aber auch ängstlich.
»Menschliches Vieh «, spuckte der Riese aus, machte einen weiteren Schritt, und hob sein Schlachterbeil, als ein ein dumpfer Laut erklang und ein erstaunter Ausdruck auf sein Gesicht trat. Die Verteidiger auf der Mauer hatten einen Skorpion gedreht und ihn auf den Angreifer abgefeuert. Ein Bolzen, so dick wie der Arm eines Mannes, ragte aus seiner Brust. Die Wucht hatte den Bolzen fast komplett durch den Schlachter getrieben, und sie war so groß, dass das unter der Haut eingelassene Kettenhemd nicht standgehalten hatte. Die Spitze ragte zwei Zoll aus dem Rücken heraus. Die unförmige Gestalt des Schlachters sackte langsam in sich zusammen, wobei er vergeblich versuchte, den Bolzen herauszuzerren. Dann sackte er mit einem mit einem ungläubigen Ausdruck zur Seite und regte sich nicht mehr.
»Rückzug?«
»Nein, für Rückzug sind wir nicht hier«, zischte Crevus und rannte auf seinen kurzen Beinen in die Gruppe der Gardisten. Sofort prasselten Schwerthiebe auf ihn ein, deren Wucht ihn zu Boden drückte. Doch Luran konnte sehen, dass er sich immer noch schützte, das er auf Hände und Knien stabil hockte, und das seine Panzerung hielt. Der Käfermann riss seinen Umhang zur Seite und entblößte darunter schwärzliche Flügeldecken. Diese klappten mit einem schmatzenden Laut auf und aus vier zitzenartigen Drüsen auf dem Rücken trat Sprühregen aus, der die Gardisten von unten einnebelte. Die Schwerter und Lanzen krachten auf den nun ungeschützten Rücken der kleinen Gestalt, konnten aber das Verteilen der Flüssigkeit in der Luft nicht verhindern.
Einen Atemzug später hörten die Hiebe auf. Die großen Männer in Leder und blau gefärbtem Stahl begannen zu taumeln, sie sanken in die Knie und übergaben sich würgend. Eine Mischung aus Essen, Galle und Blut ergoss sich in dicken Strahlen auf das Kopfsteinpflaster. Die Garde war ausgeschaltet.
»Luft anhalten und durch!« rief Luran.
Er sprang im weiten Bogen über die Garde, und die Vedde machte eine Rolle darüber. Dann flogen sie die Treppe hoch, auf die Plattform auf der Valya Simkokan erstarrt stand und voller Unglauben auf die sterbenden Gardisten sah. Von dort irrlichterte sein Blick zu den Angreifern.
»Beste Grüße von der Horde, Herr Magister!«
Ein tiefer Biss grub sich in den Hals, ein schneller Stich zerfetzte das Herz, und der Phönix brach blutend zusammen.
»Und jetzt raus hier!« rief Luran der Vedde zu.
Die Frau zögerte nicht einen Moment. Während Wachen auf die Plattform drängten und die ersten Pfeile in ihre Richtung flogen, riss sie sich die dicke Lederhaube vom Buckel. Dann breitete sie ihre wunderschönen, siebenfach unterteilen Flügel aus, deren feste ledrige Haut schwarz irisierend und feucht glänzte. Sie umfasste Lurans Brustkorb dicht unter den Vorderbeinen und sprang mit ihm über die Mauer in die Nacht.
Das Brüllen der Verteidiger verklang hinter ihnen, während sie über die Angreifer segelten und vereinzelte Pfeile an der festen Lederhaut der Flügel abprallten. Das triumphierende Lachen der Vedde perlte durch die Nacht.

Das Erwachen

»Wach auf, wir müssen los!«
Etwas rüttelte an seiner Schulter, aber er blieb noch einen Moment bei dem Schiff im Traum.
»Ismael, was ist, komm hoch!«
Die Stimme kam ihm bekannt vor. Er zwang seine Augen auf, der Traum verblasste im Hintergrund, wie Rauch, der sich von einem Schornstein im Winter löst und verschwindet.
Luran stand keuchend und halb gebeugt vor ihm, packte ihn hart an der Schulter und rüttelte diese.
»Was war, was ist los, was…« stammelte Ismael, der sich nach vorne beugte, die Schultern zusammengezogen, als würde er sich gleich übergeben.
»Der Phönix ist tot, aber auch wieder nicht. Ich habe ihn zerlegt, und die Vedde auch. Kehle raus und den Dolch tief in den Leib. Direkt ins Herz. Schnell und hässlich. Das kann keiner überleben. Aber er lebt. Als hätte ihn ein Nekromant wieder erweckt, niemand versteht es.«
Luran sah Ismael dabei schräg von der Seite an.
Ismael richtete sich auf, schwankte dabei im Sessel hin und her und sagte hastig: »Aber in Tiebel gibt es keine Magie.«
»Ja, richtig. Und Van Heuckenroth dreht fast durch. Das, was heute passiert ist, kann ihn seinen Kopf kosten. Aber das ist jetzt für uns egal, wir müssen das Lager im nächsten Zehnteltag räumen, oder wir sterben. Die Späher berichten, Aszra Assalonn treibt seine Leute im Gewaltmarsch durch die Ebene. Die geben alles, um uns zu kriegen. Lass alles hier liegen, und komm. Die drei Pferde, ausgeruht und mit Wasser und Nahrung beladen für sechs Tage, stehen bereit. Sie werden uns bis Nabur bringen.«
»Drei Pferde?«
»Ja, die Vedde kommt mit uns.«
»Was? Warum?«
Luran sah Ismael mit einem Blick an, der sagte: ›Frag nicht weiter.‹
»Gut, dann los.«

Epilog

Am nächsten Morgen, an der Asche des erloschenen Feuers liegend, erinnerte sich Ismael an seinen Traum.

Er schritt durch eine Schlucht, deren schwarze aufgerissenen Felsen oben im Rauch verschwanden. Jeder Schritt war merkwürdig leicht und schwer zugleich. Er trat aus der Schlucht und vor ihm erstreckte sich ein Strand aus grobkörnigem schwarzen Sand. Am Ufer lag ein riesiges Schiff, das aus wirbelndem Rauch bestand, der sich unaufhörlich in sich selbst drehte. Das Segel, das halb in Fetzen hing, bauschte sich unter einem Wind auf, den es nicht gab.
Er bewegte sich auf das Schiff zu, mit der vagen Ahnung, dort etwas zu finden, das er suchte.
Die nächsten zwei Schritte trugen ihn bis vor die hölzerne Planke, an der oben eine massige dunkle Gestalt stand.
»Ich bin Jasaan Vander, der erste Maat. Wer seid ihr und was begehrt ihr an Bord?«
»Ich möchte mit jemanden reden, der für mich verloren ist.«
»Und wen kann ich melden.«
»Sagt mir zuerst, wer unter wessen Kommando steht das Schiff?«
Der Offizier schnarrte: »Der Herr Kapitän ist Azi Azatoth der Jüngere, hoher Schädelträger der Horde. Und sag er nun an, wer er ist!«
»Nennt mich Ismael.«

Vom Tode der Moral
Klaus Erichsen
Hamburg, September 2022

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Raus aus den Schatten

Onua bewegte sich wie ein Schatten durch die schäbigen Gassen und nahm das Durcheinander der stadteigenen Ausdünstungen in tiefen Atemzügen in sich auf. Besser hat noch kein Ort gerochen, in dem sie seit der Befreiung aus dem Amulett gewesen war. Gerade als sie überlegte, durch welchen finsteren Gang sie sich weiter durch die Stadt bewegen sollte, wehte aus einer dunklen Ecke der Geruch einer frisch geöffneten Bauchhöhle herüber. Dieser vollmundige Duft ließ sie innehalten und seufzen. Ureban Na Xertes gefiel ihr immer besser!
Ihr fleischiger Körper immer weniger. Klein und schwach, kein Vergleich mit ihrer wahren Gestalt. Zum Glück waren ihr ein paar Dämonenkräfte geblieben, die sie gegen schwache und Nicht-Dämonen einsetzen konnte, aber da es hier einige höhere Dämonen gab, blieb ihr nichts anderes übrig, als Katz-und-Maus zu spielen.
Die Eroberung von Timor und Nabur auf der Estlichen Welt waren ein köstlich blutiger Spaß gewesen, hatten ihr aber auch die Aufmerksamkeit des Imperialen Marschalls eingebrockt. Dieser hätte lieber seine rechte Hand Drugnar Gunnarson an ihrer Stelle gesehen und hat sie daher vor die Wahl gestellt, ihm zu helfen oder ein schnelles Ende zu finden. Aus Sorge, wieder in die Leere verbannt zu werden, war sie lieber untergetaucht, um ein paar kursierenden Gerüchten nachzugehen. Sie hoffte darauf, ihre Dämonenkräfte wiederherzustellen, bevor sie sich Samsa stellte.
Leider hatte Onua keinen Zugriff auf die Erinnerungen ihrer Fleischhülle Snibi, wie der Wassergeist sie genannt hatte, dort hätten sich vielleicht einige nützliche Informationen gefunden. So hat es ziemlich lange gedauert, diesen Ort hier zu finden. Aber ihre Zeit als Heerführerin in ›Vertretung‹ hatte sehr dabei geholfen und gestern wurde ihr bei ihrer allnächtlichen Niedere-Wesen-Ausquetschen-Runde zugetragen, das sich einer Sage nach die schwarze Quelle, mit der sich Dämonenkräfte auffüllen lassen, unter dem Palast des Dämonenlords befinde. Und dass es Gerüchte gibt, dass es sich bei dem Herz des Winters auch um so eine Quelle handeln könnte. Was man in Timor gemunkelt hatte, schien zu stimmen. Sie musste irgendwie oder über irgendwen an eine dieser Quellen ran kommen, denn auf vollständige Regeneration zu warten war keine Option!
Mit einer plötzlichen Drehung und der bloßen Faust zerschmetterte sie den Schädel der Gestalt, die sich von hinten genähert hatte, und verteilte ihn auf dem Boden der dunklen Gasse. Einen Vorteil hatte dieser Fleischkörper doch, ständig wurde sie unterschätzt.
Als sie nach dem leblosen Körper griff, bevor er zu Boden sacken konnte, um seine Taschen nach Nützlichem zu durchsuchen, fiel ihr ein Zettel in seiner rechten Hand auf und weitere, die nun verstreut auf dem Boden lagen. Sie nahm das Exemplar aus seiner Hand und überflog es hastig. Zwei namhafte Schädelträger planten eine Reise zum Norpol. Ob sie es auf das Herz des Winters abgesehen hatten? Sollte sie sich der Suche anschließen? Und wenn es nicht das war, was sie dachte? Könnte sie dann vielleicht durch einen von ihnen Zugang zur Quelle unter dem Palast erhalten? Sie musste endlich Nägel mit Köpfen machen und mit diesen Grübeleien aufhören, denn wäre sie aufmerksamer gewesen, hätte sie den Zettelträger auch ohne Einsatz ihrer Dämonenkräfte töten können und sich dadurch nicht geschwächt.
Doch welche Seite wählen? Onua musste nicht lange darüber nachdenken. Sie brauchte Samsas Hilfe, sonst würde sie die schwarze Quelle nie erreichen. Es war Zeit, dem Imperialen Marschall entgegenzutreten, gleich ob mit oder ohne ihre dämonischen Kräfte.

Raus aus den Schatten
Sabine Becker
Berlin, September 2022

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Der zweite Spruch aus dem Widerhall der Welt

Der Geruch von Rauch in der Nase. Die Hitze der Flammen unter dem Bug.

Nebelschwaden, Kälte, Feuchtigkeit in den Wanten, Angst und Wut. Und Zukunft

Es war die beste aller Zeiten, es war die schrecklichste aller Zeiten.

Das Leben geht seinen Gang, jeden Tag und jede Stunde. Immer etwas zu tun, aber nichts geschieht.

Viele Magiranerinnen und Magiraner spüren es: etwas ist in Bewegung geraten. Der rasende Stillstand wird zum Ende zu kommen. Alte Regeln gelten weiter, doch der Wille bricht sich Bahn. Das Leben kommt von vorn.

Und Träume, die Hoffnung auf Morgen, auf Antworten, Lösungen, Zukunft, Veränderung. Freiheit. Bleibt alles anders.

An Bord des Schiffes aus Rauch und Feuer, auf dem Weg über die Alte Welt, immer mehr Schatten aus Asche, im Nor liegt die Antwort – und das Herz. Für manche Macht, für manche Verantwortung.

Ich bin Azi Azatoth der Jüngere. Schädelträger. Vertrauter des Dämonenlords. Sein Stellvertreter. Ich reise auf dem Schiff auf Feuer und Rauch. Schließt Euch mir an. Am Ende wird die Welt eine andere sein – die Welt der Horde der Finsternis, die Welt Magira, die Welt, die unsichtbar mit der unseren verbunden ist. Eure Welt. Sammelt Hoffnung und Furcht und macht das Beste draus.

An Bord des Schiffes aus Nebel, Eiskristalle funkeln im Licht der zwei Monde. Auf dem Weg über die Yddia. Schemen im Nebel, immer mehr von Ihnen. Im Nor liegt die Antwort – und das Herz. Der Griff nach Schwert, nach Lanze, nach Axt. Mit aller Macht auf dem Weg in den neuen Tag.

Ich bin Samsa. Imperialer Marschall des Finsteren Imperiums. . Eroberer der Greifenleere. Schädelträger.
Ich reise auf dem Schiff aus Nebel. Schließt Euch mir an. Es wird Zeit für Veränderung. Du kannst nur gewinnen. Genug ist zu wenig. Nicht bleibt wie es war. Sei dabei, wenn alte Gesetze fallen und neue Wege entstehen. Wenn Ordnung zerbricht und neu zusammengesetzt wird. Von mir und von Dir.

Zwei Schiffe, zwei Welten, doch ganz Magira ist gefragt. Entscheidet Euch. Geht an Bord. Es warten Antworten und Abenteuer. Die Welt wird eine andere sein. Seid dabei.

Fest der Fantasie 2022

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Der Friedhof der Namenlosen

Die Bösenachtgeschichten werden den jungen Hordlingen am Abend erzählt, damit sie nervös und unruhig schlafen, Respekt und Furcht vor der Obrigkeit haben, sowie der Welt da draußen mit Misstrauen und Kampfbereitschaft begegnen.

Der junge Dzaak lebte in Ureban Na Xertes, dort lernte er den Beruf des Schwertmagiers, des Magiskers. Eines Nachmittags suchte Dzaak am Rande der Stadt den Friedhof der Namenlosen. Er wollte seinen toten Onkel besuchen und von ihm Zauber lernen. An geraden Tagen fand man den Friedhof mehr im Est der Stadt und an den anderen Tagen eher im Wes. Auf diesem Totenacker wurden die Toten gesammelt, die man überall in Ureban fand und die niemand kannte oder niemand kennen wollte. Er war aber auch sonst recht beliebt für Beerdigungen, denn es lag ein Fluch über dem Friedhof. Dieser war dergestalt, dass dort jeder seinen Geschäften unter dem Schutz des Wächters gefahrlos nachgehen konnte; doch nur bis Mitternacht. Wer sich nach Mitternacht auf dem Friedhof aufhielt, dem würde Schreckliches geschehen.

Der junge Mann wusste dies, als er den Friedhof betrat. Er ging an dem Wächter und Totengräber vorbei, einem riesigen Geschöpf, das über und über mit ekelhaften Schwären bedeckt war. Dieser Wächter der Toten und war seit Urgedenken dort, und er wachte über den Friedhof. Dzaak beeilte sich bei seinem Onkel, aber dieser war schlechter Laune. Er wehrte sich nach der Erweckung und knirschte grauslich mit den Zahnstummel. Er wollte von seinem Wissen nichts preisgeben, aber Dzaak wusste Rat. Er brannte ein weißes Feuer unter dem Geist des Toten ab, bis dieser seinen Schmerz in den Himmel schrie. Dann sagte er hastig einige Zauberformeln auf, die Dzaak gierig aufsog.

Später ging der Magisker die Reihen der Gräber entlang und betrachtete sie. Er war nicht sehr in Eile, es war die Zeit der Eule, eine ganze Weile vor Mitternacht. Es ging vorbei an Gräbern, Grabmälern und Gruften, vorbei an Steinen, Säulen und Steinbänken und an Statuen und grob behauenen Stelen. Bei einige Grabstätten zeigten Bilder, was die Toten im Leben getan hatten, andere trugen hasserfüllte Inschriften oder waren sehr schlicht. Da war da ein Grabmal, das zeigte einen schwarzen Engel, dessen Flügel brannten. Davor kniete eine Frau, in Tücher gehüllt. Dzaak blieb stehen, und beobachtete sie. Sie stand auf, ging die Allee entlang und Dzaak folgte ihr neugierig, ohne Grund, nur um zu sehen, wohin sie wolle. Je länger er sie ansah, desto mehr schien sie ihm über die Maßen schön und elegant. Sie gingen eine Weile und sein Blick ruhte auf ihren Hüften und den Bewegungen des Gesäßes, das sich anmutig unter dem glatten Stoff bewegte. Die Gräber zogen an ihm vorbei, aber er beachtete sie nicht, sein Blick folgte den sanften Bewegungen vor ihm, er konnte nicht anders.

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Einhundert Goldstücke

Eine Bösenachtgeschichte

Die Tradition der Bösenachtgeschichten bei der Horde wird gerne gepflegt. Damit werden die Kleinen schon früh durch lehrreiche Erzählungen auf die Widrigkeiten des Lebens und die ausgeprägte Feindlichkeit der Welt vorbereitet.

Vor langer Zeit herrschte die schöne Lydia von Stauss, halb hordische Dämonin und halb Vampirin, über ein großes, fruchtbares Tal in einem Königreich im Wes. Lydia war beliebt im Tal, und die Menschen fürchteten sie nicht, denn sie hatte geschworen, nie ihre Blutlust an den Untertanen auszulassen und das Tal zu schützen.

Die jungen Männer liebten und verehrten sie, denn sie pflegte immer 10 von ihnen um sich zu scharen, und ein jeder von ihnen wäre gerne dazu auserwählt. Lydia, so hieß es, wäre unersättlich, was die körperliche Liebe anging, und die kraftstrotzenden Jünglinge dienten ihrer Befriedigung. Lydia nannte diese Männer ihre Goldstücke. Diese waren ihr stets einige Jahre zu Diensten, um dann nach dem Ende dieser Zeit reich belohnt hinaus in die Welt zu ziehen, meist an den Hofe des Königs.

Die schöne Talherrin liebte das Spiel der Geschlechter. Sie steigerte ihre Lust oft mit schwarzen Leichenpilzen, und dann mussten ihre Geliebten sie die halbe Nacht verwöhnen. Sie bestiegen sie auf diese und auf jene Art, leckten sie hier und dort, und sie wurde überall gestoßen und gestreichelt, und viele Dinge mehr. Wäre das jemals über die Mauern des Schlosses getragen worden, die eine Hälfte des Königreiches wäre errötet und die anderen Hälfte vor Neid erblasst.

Die Spiele mit den zehn Gespielen füllten die langen Nächte voller Lustbarkeiten: Gerne wurde ›Bauer und Schwein‹ gespielt; dafür brauchte man immer einige Gardinen und ein paar Gerten. Und sehr beliebt bei allen war ›Heute Nacht wird gejagt‹, das sich durch alle Keller und Gänge zog. Oft endete die Nacht oben auf der Dachterrasse, von wo aus Lydias Schreie der Lust über das Tal schallten. »Wenn es Lydia gut geht, dann geht es dem Tal gut«, knurrten die Bauern in ihren Stuben. Und die jungen Männer, die das hörten, träumten davon, das sie einst dort im Schlosse dienen würden.

An einem schönen Nachmittag, da war es wieder einmal so weit, ein Dienst würde enden. Lydia von Stauss rief einen der jungen Männer herbei. ›Zum Tee‹ hieß es. Aber alle wussten, was damit gemeint war. »Nur herein«, sagte die Schöne zu dem jungen Mann Sie trug nur ein wenig Tüll und Perlen. »Euer Dienst endet nun. Aber lasst uns an diesem schönen Tage noch einmal der Freude frönen«. Sprachs und zog ihn mit gieriger Zärtlichkeit zu sich heran.

Der Junge Mann erwachte irgendwann später, die Sonne versank hinter den Hügeln. Eine unendliche, bleierne Müdigkeit erfüllte ihn. Er fühlte Schmerz an seinem Hals, und als er unwillkürlich an die Stelle fasste, ertastete er zwei kleine Wunden und Nässe. Blut klebte an seiner Hand, als er sie ansah. Er blickte auf und sah Lydia, sie stand seitlich vor ihm und lächelte schmallippig. Sie sagte: »Danke für alles, mein Liebster« und verließ den Raum.

»Schau mich an«, sagte ein unscheinbarer Mann, der ihm gegenüber saß, und ihn intensiv ansah. Der Mann begann merkwürdig zu zucken und zu keuchen. Der junge Geliebte konnte nicht glauben, was er sah: Die Gestalt des Mannes verlief wie heißes Wachs, nur um sich dann neu zu formen. Am Ende saß er seinem Ebenbild gegenüber. Der Gestaltwandler stand auf, trat zu ihm und sagte: »Nun werde ich an deiner Statt davon reiten. Ich werde allen sagen, das es an den Hof des Königs geht, wo mich eine gute Position erwartet. Und alle deine Freunde werde dich bald vergessen.«

Die letzten Worte hatte der abgelegte Gespiele schon nicht mehr gehört. Der Blutverlust ließ ihn in die Bewusstlosigkeit gleiten. Durch ein zur Seite geschobenes Paneel an der Wand trat ein Ghoul, der den Liegenden ergriff und mit sich zerrte. Er ächzte und murmelte vor sich hin: »Dein Körper weißt du, der dient der Herrin, so oder so. Du wirst ein guter Nährboden sein, mein toter Freund. Ich lege dich zu den anderen, keine Sorge, du liegst nicht allein. Die Sporen werden in dir keimen und nach ein paar Wochen trägst Du die besten, schwarzen Leichenpilze. Das wird Lydia erfreuen, sie braucht viele davon.«

Am Abend saß der Gestaltwandler in einem Rasthof vor dem Kamin. Lydia zahlte gut; in seiner Hand hielt er zufrieden eine Goldmünze des Reiches. Sie trug auf der einen Seite ein stilisiertes Portrait von Sataki und auf der anderen eine Rune. Das war die einhundertste Münze für seine Dienste für Lydia von Stauss.

EINHUNDERT GOLDSTÜCKE
Klaus Erichsen
November 2021

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Werkstattbericht

Er ist viel zu klein, ich könnte kotzen. Schreien. Toben. Am liebsten würde ich jetzt irgendjemandem die Nase brechen, Blut spritzen lassen, zuschlagen, bis gar nichts mehr geht.
Aber ich schließe nur kurz die Augen und atme tief ein. Natürlich merkt er das. Aber so habe ich es gelernt. Irgendwo
in meinem Bauch ist angeblich ein Muskel oder so, der muss ganz locker sein, wie hängende Schultern. Haben sie mir, hat er mir beigebracht. Also atme ich ganz einfach, ganz tief, ein und dann aus. Und hasse dieses Werkzeug weniger. Ein bisschen weniger. Auch das soll helfen.


Vor mir das Holzbrett. Und der eine Nagel. Daneben liegen die sechs anderen Nägel, und wieder daneben das verfluchte Dreieck aus Holz mit dem Gewicht an einer feinen Kette. Die lange Seite des Dreiecks ruht auf dem Boden. Da, wo sich die beiden kurzen Seiten treffen, oben, in der Mitte, da hängt das Gewicht. Und genau darunter ist ein kleiner Dorn.

Dieser Scheiß-Hammer ist doch gar keiner. Die Wut kocht wieder hoch. Ich fasse den Stiel noch fester. Diesen lächerlichen, dünnen Stiel. Meine Faust bemerkt ihn kaum.
Dieser Blick. Immer dieser fiese Blick, und dieses Grinsen auf dem hageren Gesicht. Die buschigen Augenbrauen. Klar muss er nichts sagen, ich weiß schon. Das Licht der Fackeln flackert. Es ist beschissen kalt und meine Finger sind klamm.
Der verfluchte Kopf des Hammers hat nur die Schlagfläche in der Größe meines Daumennagels. Der Arsch nennt das Bahn. Bahn. Was soll das denn sein? Da ist doch lächerlich. Das Ding wiegt fast nichts. Dafür ist der Stiel recht lang.

Ich greife nach dem ersten Nagel. Und nach dem Klebekram im kleinen Topf daneben. Ich muss den Nagel nicht festhalten, ich darf ihn mit der festen Knete fixieren. Immerhin.
Rund um den eingeschlagenen Nagel hat er mit dem Stift einen Kreis gezeichnet, irgendwo auf dieser Linie müssen die
anderen Nägel eingeschlagen werden. Als ob das so wichtig wäre. Ich verfluche den Tag, an dem ich meine Ausbildung
begann. Auf der Straße hatte ich doch kein ganz schlechtes Leben. Gut, ich gehörte weder zu den Stärksten oder Geschicktesten. Ein paar Kniffe beim Kämpfen hatte ich mir abgeschaut, und so überlebte ich lange genug, bis ich mich nachts mit diesem Arschloch anlegte. Nachdem er mir zweimal gegen den Kopf getreten hatte als ich im Dreck lag, hat er mir angeboten mitzukommen. So etwas kann übel enden, ich weiß, aber bei einem weiteren Tritt wäre es wohl aus gewesen. Ich stimmte zu. Es endete auch nur so halb übel. Ich musste bei ihm in die Lehre
gehen. Immer noch besser als jede Nacht seinen Schwanz in meinem Arsch zu haben. Ein bisschen besser.

Lenk dich nicht ab. Der ›Hammer‹ in meiner Hand, ich weigere mich fast ihn so zu nennen, saust herab auf den fixierten Nagel. Kurz vor dem Auftreffen verzögere ich, so habe ich das gelernt.
Der Nagel wird ins Brett getrieben.
Für mich sieht das gut aus.
Tatsächlich fordert er mich auf, den nächsten Nagel zu nehmen. Meine Stimmung bessert sich, ich beuge mich runter
zu dem Brett, aber im flackernden Licht lässt sich das nicht allzu gut in Augenschein nehmen. Na dann, nächste Knete, nächster Nagel.
Schon beim Ausholen merke ich, dass ich mich nicht genug auf die Aufgabe konzentriert habe, die Verzögerung kommt zu spät und jetzt schreit mir der Meister auch noch ins Ohr – ich treffe den Nagel nur halb, schief, lächerlich. Nicht tief genug.


Der zweite Schlag ist der schwerste denke ich schon wie der Meister, dessen hohles Grinsen noch abstoßender wird. Ich
könnte ihm die Fresse polieren, eine rote Welle aus Wut und Zorn überrollt mich. Er zeigt auf den dritten Nagel. Luft holen. Nicht so verkniffen dreinschauen. Er sagt immer, er könne in meinem Gesicht alles, aber auch alles ablesen. Danke dafür.

Dann wird er irgendwann mal ablesen, dass ich ihm jetzt umgehend mit dem großen Vorschlaghammer den Schädel
einschlage.
Lehrjahre sind keine Herrenjahre noch so ein Spruch. Ich bringe Atmung und meine zitternde Hand wieder unter Kontrolle, nehme Knete und den dritten Nagel. Ich denke jetzt gar nicht groß darüber nach, ein Schwung, ein Schlag. Kurzes Herunterbeugen auf die Höhe der Nagelköpfe. Auch das hier …
Nicht nachdenken, keine Zufriedenheit, keine Frustration, weitermachen. Nächster Nagel, nächster Schlag. Nächster Nagel, nächster Schlag. Als ich zum letzten Nagel greifen will bedeutet er mir einzuhalten.
Es ist Zeit für die, jetzt weiß ich es wieder, Waage. Setzwaage. Die lange Unterseite wird auf dem Nagel in der Mitte und dem misslungenen zweiten Versuch angesetzt. Klar, dass der Dorn nicht auf die Markierung in der Mitte zeigt.
Wut kocht wieder in mir hoch. Ein Fäustel würde reichen, eine kurze Gelegenheit, und mein Meister wäre blutver-
schmierte Vergangenheit.
Jetzt setzt er die Auflagenseite auf den ersten Nagel. Nach kurzem Auspendeln zeigt die Spitze des Gewichts auf den Dorn. Ich hatte recht gehabt.
Er legt das Instrument wieder zur Seite.
Was will er jetzt schon wieder? Noch ein Nagel, Lektion vorbei, dann lieber wieder Alltagsgeschäft? Lass mich doch den
sechsten Nagel einschlagen. Stattdessen bedeutet er mir mitzukommen. Wir gehen nach nebenan. Bange Blicke folgen uns im nächsten Gewölbe, aber alle haben schön gelernt, die Klappe zu halten. Kann keiner sagen, dass der Meister nicht wüsste was er tut. Das ist ja das Problem. Ruhig bleiben.
Er geht zu einem Mädchen, einer jungen Frau, dreckig, stinkend wie alle hier. Nimmt ihre Hand. Legt sie flach auf den
Boden und hält sie fest. Ich schaue sie nicht an, gelernt ist gelernt. Nur auf die Hand, die Finger, den Zeigefinger. Lasse
mich neben ihr nieder. Sein Blick sagt: jetzt.


Wieder der Schwung, wieder das Verzögern, und das satte Auftreffen. Sie kann nicht anders, sie schreit laut auf und mein Meister verpasst ihr eine Ohrfeige.

Dann nimmt er die Hand der wimmernden Gestalt und betrachtet das vordere Fingerglied. Ich senke die Augen, aus
meiner Sicht war alles richtig. Nicht übermütig werden. Der Fingernagel war zersplittert, das Fleisch aufgeplatzt, aber
das Gelenk unbeschädigt. So, wie es sein sollte. Der Meister schnipste kurz gegen den Finger, ein Stöhnen, ein kurzer böser Blick.
Mir bedeutet er aufzustehen.


›Die Kunst ist das rechte Maß aus Kraft und Geschicklichkeit‹ kam mir wieder in den Sinn. Schließlich sollten die meisten Aufträge nachher wieder einer nützlichen Arbeit nachgehen. Nur Idioten schlagen sie zu Krüppeln. Es sei denn, der Auftrag lautet so. Auch das kommt vor.
Ich darf das zierliche Hämmerchen ablegen.
Zur Belohnung deutet der Meister auf den … Fäustel.
Endlich. Es gibt da noch ein paar Kniescheiben einzuschlagen. Aber nicht das Gelenk beschädigen.
Ich weiß Bescheid, schließlich bin ich bald kein Lehrling mehr sondern Geselle.


WERKSTATTBERICHT
Michael Scheuch
Seeheim, Dezember 2020/Januar 2021

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Greifenrücken und Greifenleere -2-

Nachdem der erste Teil dieser Schrift, erschienen in Dämonenbote 96, Follow 443, den Zeitraum vor dem Zeitalter der Finsternis, das Zeitalter der Finsternis selbst sowie die ersten 33 Jahre nach ebendiesem betrachtete, so geht der zweite Teil auf den chronologisch nächsten Zeitraum ein, also die Zeitspanne 33 bis 57 nach der Finsternis, denen das Spiel auf der wiederentdeckten Estlichen Welt seit 1994 bis in die Gegenwart zugrunde liegt.

Teil II – Vom Zerfall des Ersten bis zur Entstehung des Zweiten Greifenbundes

Diese Schrift behandelt die Geschichte der Regionen namens Greifenrücken, Greifenleere, Rudravid und Litaria – allesamt Gebiete im Ydd der Estlichen Welt, in denen das Volk der Homiiden heimisch war und ist. Sie umfasst dabei sowohl geographische, enzyklopädische als auch politische Bestandteile und soll dadurch einen allgemeinen Überblick bieten.

Der erste Teil endete mit dem Verschwinden des Nebels über der Estlichen Welt, welcher das zur Seefahrt talentierte Volk der Homiiden von ebendieser abhielt. Politisch gab es ein Verteidigungsbündnis der Städte der Homiiden, den so genannten Greifenbund, welchen die Städte Ashkalin, Timoris, Naburit, Lenduris, Ruhtron, Meggoddin unter der Führung der Herren von Greifenstein bildete.

Von Missionaren und Eroberern

Noch vor dem Verschwinden des Nebels kamen im Jahre 31 ndF Missionare der Göttin Daya in die Greifenleere. Sie schufen eine breite Anhängerschaft dieser Gottheit in den höheren, reicheren Schichten im Volk der Homiiden. Sie war für einige Jahre eine Ergänzung zum sonst verbreiteten Wolsischen Pantheon. Auch sagt man, dass die Priesterschaft des Greifentempels in diesen Jahren im verborgenen starken Einfluss auf den Ersten Greifenbund ausübte, nachdem sie sich von Hondanan zurückgezogen hatten, diese aber nach kurzer Zeit Aufgaben und sich anderen Gefilden auf Magira widmeten.

Im Jahre 33 ndF wurde der Greifenbund auf eine harte Probe gestellt, denn seine beiden Nachbarn, der Löwe und der Falke, sowie der Stier wollten dieses Gebiet unter ihre Kontrolle bringen – was ihnen innerhalb der nächsten zwei Jahre gelang. Die Städte Lenduris, Ashkalin und Greifenstein fielen an Ena Wolsan, die Städte Naburit, Timoris und Ruhtron an die Toku. Meggoddin gelangte unter kurzzeitige Kontrolle der Valusier, wurde aber an Ena Wolsan abgetreten. Von nun an lebten die Homiiden in verschiedenen Reichen, mit verschiedenen Herren, Rechtssystemen, Glaubensansätzen, sogar Sprachen. Sowohl Löwe als auch Falke räumten den Homiiden viele Freiheiten ein, jedoch keine Möglichkeit die Herrschaft ihres angestammten Gebietes zurückzuerlangen. Von diesem Zeitpunkt an begannen die Städte der Homiiden zu schrumpfen. Viele junge Menschen wurden in fremde Armeen gepresst und viele, die außerordentliche Talente hatten, zum Beispiel in der Metallverarbeitung oder der Architektur, verließen ihr Land, um in Ena Wolsan Reichtum und Anerkennung zu finden. Ihnen half, dass die Homiiden ebenfalls Wolsisch sprechen, wenn auch mit einem starken Dialekt. Im Jahre 34 ndF endete die Zeit des Ersten Greifenbundes mit der Eroberung Greifensteins durch Ena Wolsan.

Von Invasoren auf eisigen Platten

Das nächste Kapitel der Geschichte von Greifenrücken und Greifenleere beginnt im Jahre 36 ndF, als das Eisvolk von Andor mithilfe von aus Eisplatten erstellten Großflößen die Küste der Greifenleere erreichte. Diese Wesen, und das sie begleitende Dienervolk der Inuamen, kamen aus ihrem eigenen Reich, welches sich angeblich am Sudpol Magiras befinden soll, in die Region. Sie konnten sich schnell, auch aufgrund ihrer militärischen Stärke, mit dem Falken und Löwen einigen. So wurden ihnen zuerst die Städte Naburit und Timoris überlassen, später erlangten sie auch Kontrolle über Ashkalin und auch für kurze Zeit über Greifenstein. Dieses Reich auf dem Gebiet der Homiiden hielt für einige Jahre an, sodass die Andorianer sich an einigen Stellen festsetzten und die sie begleitenden Inuamen sich teilweise mit den Homiiden vermischten. Doch die Herrschaft der Andorianer und der teilweise magisch begabten Adelsschicht dieses Volkes verblasste zunehmest, auch aufgrund ihrer Überheblichkeit. Schließlich wurden sie von den Völkern der Alten Welt dort vertrieben. Heute können wir noch einige Anzeichen der Andorianer und Inuamen in dieser Region finden, seien es Lehnwörter oder einige ihrer architektonischen Werke. Besonders in der Region um Ashkalin im Nor der Leere findet man andorianische Einflüsse in Ernährung und Kleidungsweise. Es hält sich hartnäckig das Gerücht, dass sich ein Teil des Adelsgeschlechtes im Dreigipfelgebirge im Nor des Greifenrückens befindet und dort im Exil lebt.

Nicht unerwähnt soll die kurze Besetzung von Ashkalin durch die Horde der Finsternis unter der Führung des Dämonen Rho Un Garr bleiben, der diese Stadt 44 ndF vom Löwen übernahm und für einige Monde hielt.

Von Besuchern aus der Alten Welt und dem spitzen Stachel des Skorpions

Die oben bereits beschriebene Schwäche des Adels von Andor nutzte besonders den Völkern der Alten Welt, die im Jahre 47 ndF die Estliche Welt erreichten, um Krieg gegen Ena Wolsan zu führen. Diese Völker waren der Rabe, der Drache, die Schlange, Tir Thuatha und das Reich des Feuers. Ihr Erfolg war jedoch überschaubar. Sie zogen durch die Greifenleere, wurden jedoch am Greifenrücken bereits vom Löwen gestellt und dort sowie zu Wasser geschlagen und wieder vertrieben.

Die Choson erreichten – ebenfalls von der Alten Welt kommend – die Region und konnten für kurze Zeit Naburit von den Andorianern halten, werden aber von den Söldnern der Cehisar wiederum vertrieben, die – nachdem sie die letzten Andorianer besiegten – Ruhe in die Greifenleere bringen. Unter dem Banner des Skorpions stehen für einige Monde Greifenstein, Ashkalin, Naburit, Timoris und Meggoddin. Doch sind die Söldner eben Söldner und nicht für das Halten oder den Ausbau von Städten und Strukturen bekannt. Die Städte wurden Ena Wolsan überlassen und an der ein oder anderen Stelle kam es zwischen Löwe und Skorpion zu dezentralen Gemetzeln, doch waren sich die Führungen beider Kriegsparteien einig, dass die Söldner diese Region verlassen werden, zu uns heute unbekannten Konditionen.

Von wechselnden Herren und erneutem Mut

Ena Wolsan hielt 49 ndF Greifenrücken, Greifenleere und Rudravid. Die Insel Litaria befand sich unter Kontrolle des Falken. Der Löwe wusste jedoch schlau die Städte und Gebiete der Greifenleere für seine Diplomatie in den kommenden Jahren zu nutzen. Timoris gelangte wieder unter Kontrolle der Toku und Naburit wurde den Ranabarern 51ndF als Stützpunkt in der Estlichen Welt angeboten, die diesen 53 ndF an den Phönix abtraten. Dieser wiederum verließ die Stadt Naburit 55 ndF, weil es dort nicht mit rechten Dingen zuzugehen schien. Truppen der Horde der Finsternis unter der Führung der Halbdämonen Onua, die eigentlich Timoris durch die Verhandlungen von Schädelträger Samsa mit dem San übernehmen sollten, fanden die Stadt ungeschützt vor und besetzten sie. Im Jahr 56 ndF erobert Samsa zusätzlich Ashkalin, welches zwischenzeitlich vom Wali gehalten wurde.

Zu Beginn des Jahres 57 ndF erklärten sich die drei Städte Ashkalin, Nabur und Timor (vormals bekannt als Naburit und Timoris), die allesamt unter der Herrschaft der Horde der Finsternis standen, zum zweiten Greifenbund, um zumindest ihr Schicksal wieder in die eigenen Hände zu nehmen.

Wie sich dieser Schritt in der Region und für die weiteren Siedlungsgebiete der Homiiden auswirken wird und welches Motiv die Horde der Finsternis dort verfolgt wird die Zukunft zeigen.

GREIFENRÜCKEN UND GREIFENLEERE
Teil II – Vom Zerfall des Ersten bis zur Entstehung des Zweiten Greifenbundes
Jörg Meierotte
Wiesbaden, September und November 2020

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Greifenrücken und Greifenleere -1-

Jörg Meierotte

»Auf der Westlichen Welt wurde der Fehler gemacht, dass alle, die dort mit ihren Magiragruppen begonnen haben, auf eine geschichts- und damit gesichtslose Landmasse stießen. Auf der Alten Welt hingegen wurde nach der Finsternis mit bereits vorab verteilten Reichen begonnen. Dadurch erhielten die einzelnen Magiragruppen die Möglichkeit, ihren Reichen eine Vorgeschichte einschließlich Legenden, Sagen und ähnlichem zu geben. Dies dürfte unter anderem einer der Gründe sein, warum die Alte Welt für viele attraktiver ist – oder zumindest gewesen ist – als die Westliche Welt. Die Magiragruppen, die auf der Östlichen Welt beginnen, sollten diesen Fehler nicht wiederholen, sondern bereits mit einem Reich beginnen.«

Matthias Bogenschneider, Armageddon-Nachrichten 30, Follow 342, 1994

Um die Notwendigkeit der folgenden Abfassung zu verdeutlichen, habe ich ganz bewusst dieses Zitat von Matthias Bogenschneider gewählt und an den Anfang gesetzt. Es warnt nach Erfahrungen mit der Yddia deutlich davor, bei der Erstellung neuer magiranischer Welten die Vorgeschichte dieser Welten zu vernachlässigen beziehungsweise auszuklammern. Ich will damit nicht sagen, dass diese Fehler auf der Estlichen Welt wiederholt oder auf der Weslichen Welt gar gemacht wurden. Dort, wo aktive Magiragruppen die Ländereien übernahmen, finden wir heute die erarbeiteten Hintergründe die einen enzyklopädischen Rahmen schaffen.

Dies ist allerdings nicht für alle Regionen der Fall, beispielsweise in der Startregion des Greifen im Ydd des Kontinents, was an der Inaktivität der dort beginnenden Magiragruppe lag, deren Gebiet zügig noch im letzten Jahrtausend unter den Nachbarn aufgeteilt oder an neue Spieler abgetreten wurde.
 
Heute finden wir als Horde der Finsternis, nun in diesem Gebiet ansässig, eine Situation vor, in der nichts beschrieben ist. Die Städte, die wir eingenommen haben, wurden von anderen Spielern liebevoll Hurenstädte genannt, auch wenn sie hin und wieder kulturspezifische oder gar unsinnige Namen bekamen.

Dieser Text beginnt mit der notwendigen Grundlagenarbeit, um diese Gegend nicht nur mit Zinnfiguren, sondern auch mit Fantasie bespielen zu können. Er mag vielleicht nicht sonderlich lang sein, doch stecken darin viele Stunden der Recherche. Alte Spielberichte wurden gesichtet, Clanletter verschiedener Clans aus verschiedenen Zeiten durchforstet, EWS-Protokolle nachvollzogen. Auf der einen Seite war es eine interessante Spurensuche durch 25 Jahre Geschichte der Estlichen Welt, auf der anderen Seite war es ernüchternd wie wenig Material tatsächlich vorhanden und in welchem Maße es verstreut war.
Ich bedanke mich an dieser Stelle ausdrücklich bei Wolfgang Scheyrer und Hermann Schmid, die geduldig bei jeder meiner Fragen hilfreich zur Seite standen. Ihr ermöglicht es, dass wir dieser Region Hintergrund, Legenden, Geschichten und Charakter geben.


Teil I – Vor der Finsternis bis zum Verschwinden des Nebels


Diese Schrift behandelt die Geschichte der Region namens Greifenrücken, ein Hoch- und Bergland umfassender, sich von Nor nach Sud erstreckender, das norliche Tiefland der Estlichen Welt trennender Gebirgszug, sowie des sich von dort aus bis zum weslich liegenden Hagansgolf erstreckende Tiefland, genannt Greifenleere, welches sich im Sud bis zum Sangu-Delta sowie im Mir bis zum Hochland Rudravid. Auch behandelt sie die Insel Litaria.
Sie umfasst dabei sowohl geographische, enzyklopädische als auch politische Bestandteile und soll dadurch einen allgemeinen Überblick bieten.
Urbevölkerung, deren Lebensform und die Ereignisse vor der Finsternis
Über die menschliche Urbevölkerung vor der Finsternis wissen wir heute nur noch wenig. Laut verschiedenen Quellen waren sie von gelblicher Hautfarbe und lebten als Nomaden in einer Stammes- und Sippenstruktur. Sie zogen mit ihren Tierherden durch die Weite der Ebenen, auch wenn an den Küstengebieten Fischerei oder das Sammeln von Muscheln nicht unüblich war.

Die Vorkommen verschiedener Ressourcen wie Steine, Kupfer und Zinn sowie die aufkommende Landwirtschaft, die die wachsende Bevölkerung besser ernähren konnte, führte zu ersten Siedlungen, auf den höheren Gebieten des Greifenrückens und des Rudravid sogar kleinere Städte, deren Lage und Bedeutung heute in Vergessenheit geraten ist. Eine Ausnahme bildet die Stadt Meggoddin, die die Wolsi heute Megg Addon nennen. Die Besiedlung dieser Gegend kann bis vor der Finsternis zurückverfolgt werden.
So lebte die Bevölkerung bis zum Jahre 1047 nach Kreos. In diesem Jahr durchzogen Truppen des Löwenreiches, welches bereits auf der Alten Welt eine enorme Größe erreicht hatte, die beschriebenen Gebiete und verstanden die Region als Teil der Kolonie ›Neu-Wolsan‹, die weitaus größer war als der Greifenrücken und seine Umgebung. Dies gelang ihnen im Besonderen durch ihren Organisationsgrad sowie ihre technische Überlegenheit, denn sie nutzten beispielsweise bereits Waffen aus Eisen.
Neben den Wolsi sind zwei weitere Völker für die Zeit nach der Landnahme des Löwen bis zum Einbruch der Finsternis im Bärenmond 1050 nK für diese Region von Bedeutung: Die Atharer und die Golonen.
Die Atharer unter ihrem Herrscher Athar Uthar waren kein Volk der Estlichen Welt. Im Jahre 1047 nK lebten sie für kurze Zeit in der Region um die Stadt Priem im Wald von Valusien. 1048 nK gaben sie diese Gebiete auf, um im Austausch mit Taurinderehus IV von Galusien Schiffe und Kriegsmaterialien zu erhalten. Diese nutzten sie, um in die Region des Greifenrückens einzufallen und diese 1049 nK vom Löwen zu erobern, denn sie waren zu Beginn des so genannten Östlichen Weltkrieges zuerst Teil der Wolfsliga, die gegen die Übermacht der Wolsi kämpfte. In dieser Zeit fiel bei der so genannten »Hagelschlacht« auch Athar Uthar. Leider können wir heute nicht mehr nachvollziehen wo genau diese sagenumwobene Schlacht stattgefunden hat. Sein Nachfolger, Azal Khri II, wechselte die Seite, sodass die Atharer nun in der Löwenunion gegen die Wolfsliga kämpften. Die Golonen unter ihrem Seekönig Hagan waren ebenfalls kein Volk der Estlichen Welt. Aus dem Nor kommend, betraten ihre Recken 1049 nK in der Nähe des heutigen Ashkalin die Estliche Welt. Als Teil der Löwenunion bewegten sie sich in die Region estlich und mirlich des Greifenrückens und trafen dort auf die Soghiden um Wardan Chudah sowie die Etlandwali, mit denen sie sich vorerst belauerten. Auch das Volk der Atharer bewegte sich in diese Region und ließ das Tiefland weslich des Rückens zurück, in welches nun wieder die Wolsi für kurze Zeit vordringen konnten.
1050 nK ging in die Geschichte Magiras ein als jenes Jahr, in dem die Finsternis über alle Völker hereinbrechen sollte. Doch bevor dies geschah, übte Seekönig Hagan Verrat an der Löwenunion und wechselte zur Wolfsliga. Seine Golonen konnten gemeinsam mit den Etlandwali und den Soghiden die Atharer vernichten. Im Anschluss entrissen sie die Region um den Greifenrücken den Wolsi, welche ihre Kräfte für die Eroberung der Stadt Priem konzentrierten. So kam es, dass zum Ende dieses vorfinsterlichen Zeitalters die Golonen neben den oben beschriebenen Ureinwohnern in der Region um den Greifenrücken lebten.

Während der Finsternis: Drei Völker verschmelzen zu Einem

Seekönig Hagan erkannte schnell die Gefahren der nun vorherrschenden Finsternis für sein Volk und beschloss umgehend das Gebiet um den Greifenrücken mit uns heute unbekanntem Ziel zu verlassen. Viele Golonen hörten seinen Ruf, doch nicht alle. Ob dies eine direkte Auswirkung der Finsternis war oder an anderen Gegebenheiten lag, ist heute nicht mehr nachvollziehbar. Jedenfalls sollen die vielen Schiffe Hagans von der Küste bis zum Horizont gereicht haben, weshalb man den Meeresarm weslich der Greifenleere heute noch Hagansgolf nennt. Heute finden wir die Golonen in Gybal-Sham auf der Yddia wieder.
Die auf der Estlichen Welt zurückgebliebenen Golonen lebten in dieser gefährlichen Zeit friedvoll mit der Urbevölkerung zusammen, besonders in den Küsten- und Flussgebieten des Sangu-Deltas. In der gesamten Region verschmolzen diese beiden Völker zu einem.
Im Laufe der Finsternis kam es zu einer weiteren Verschmelzung. Die Wolsi der Estlichen Welt, die sich zu Beginn der Finsternis im Hochland im Ydd-Wes der Estlichen Welt befinden, verließen diese Region in Richtung Nor, wo wir heute ihr Reich Ena Wolsan finden. Die Gründe für ihre Völkerwanderung sowie die zeitliche Dauer sind heute nicht bekannt.

Nach der Finsternis: Das Volk der Homiiden und der Greifenbund

Durch diese beschriebene Verschmelzung der Ureinwohner zuerst mit Teilen der verbliebenen Golonen, später mit Teilen der verbliebenen Wolsi entsteht im Laufe der Finsternis ein Volk, das sich vom Greifenrücken aus über die Greifenleere bis hin zum Hagansgolf erstreckt als auch Teile des Hochlandes Rudravid umfasst und heute als Homiiden bekannt sind. Es spricht Wolsisch, wenn auch mit einem eigenen, deutlichen Dialekt. Es gibt zwar einige größere Städte, allerdings ist ihre Kultur nicht sonderlich urban geprägt. Der Großteil lebt in familiären Strukturen, sesshaft auf Höfen oder kleineren Dörfern auf dem Land, besonders in den wärmeren Küstenregionen, wo Strömungen im Hagansgolf das sonst kalte Klima erträglicher machen.
Nichtsdestotrotz haben sich bis zum Ende der Finsternis einige größere Städte gebildet, namentlich Ashkalin, Naburit und Timoris, die allesamt in der Greifenleere liegen, als auch Meggoddin im Hochland von Rudravid sowie Lenduris und Greifenstein auf jeweils unterschiedlichen Seiten des Greifenrückens. Kurze Zeit nach dem Ende der Finsternis erlangte die Stadt Ruthron auf der Insel Litaria ebenfalls Bedeutung.

Die Herrscher über Greifenstein, der deutlich größten Stadt der Region, schafften es in den folgenden Jahren die anderen Städte in einem losen Verteidigungsbündnis zu vereinen, dem so genannten Greifenbund, um sich vor äußeren Feinden zu schützen. Zu ihren Nachbarn hielten die Homiiden wenig Kontakt. Das durchaus zur Seefahrt begabte Volk musste zudem feststellen, dass die Meere jenseits der Küstenregion von einem solchen Nebel überzogen waren, dass das Navigieren unmöglich war. Jene, die in diesen Nebel fuhren, kehrten nie wieder zurück.
Der Greif hat eine besondere Stellung im Glauben der Homiiden, und das nicht nur in Form des ›Großen Greifen‹, der Wolsor, den ersten Wols erschaffen haben soll. Sie gelten auf der einen Seite als Beschützer des Landes. Die Sichtung der Tiere oder gar deren Federn, Krallen oder andere Teile ihres Körpers sollen Glück, Wohlstand oder Liebe bringen. Auf der anderen Seite werden diese Wesen auch gefürchtet, da sie sich häufiger gegen die Menschen wenden, ja sie sogar fressen würden.
Des Weiteren taucht der Greif in verschiedenen Legenden auf. Die Halbgöttin Timoria soll auf einem solchen Tier geritten sein. Eine andere Sage besagt, dass in jeder der größeren Städte sowie in Ruthron zum Ende der Finsternis ein Greif als Bote des wechselnden Zeitalters gesichtet wurde. Sowohl die Herrscher über Greifenstein als auch die Priesterinnen von Timoris behaupten bis heute, dass sogar zwei Greifen in ihre Stadt gekommen seien.

In den kommenden Jahrzehnten kam es immer wieder zu Konflikten zwischen den verschiedenen Städten. So stritten sich seit dem Ende der Finsternis; besonders die Städte Naburit und Timoris bekriegten sich über verschiedene Bergbauregionen. Des weiteren stellte Timoris den Führungsanspruch der Herrscher von Greifenstein über den Greifenbund häufiger in Frage.
Im Jahre 33 nach der Finsternis verschwand der Nebel über dem Endlosen Ozean. Wurde dieser Nebel von den Einheimischen oft als Barriere verstanden, der sie daran hinderte, das Wissen ihrer Vorfahren bezüglich der Seefahrt zu nutzen und Magira zu erkunden, so stellte er sich rückblickend doch als Schutz gegen weitere Völker heraus, die schneller mit den Homiiden in Kontakt traten, als es ihnen lieb war …
GREIFENRÜCKEN UND GREIFENLEERE
Teil I – Vor der Finsternis bis zum Verschwinden des Nebels
Jörg Meierotte
Mainz & Wiesbaden, April & Mai 2019

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